2035 soll Stuttgart klimaneutral sein. Einer der Bausteine auf dem Weg zur Klimaneutralität ist die kommunale Wärmeplanung. Dr. Jürgen Görres vom städtischen Amt für Umweltschutz und Ulf Hummel von den Stadtwerken Stuttgart erklären, wie wichtig das Projekt für die Stuttgarter Wärmewende ist.
Fit für die Zukunft
Über dem Eugensplatz liegt eine Wärmeglocke, es ist Mitte September und an der schattenlosen Brüstung mit Blick auf das Alte und Neue Schloss, auf den Landtag und die Hänge des Killesbergs herrschen schweißtreibende Temperaturen. Gar nicht so einfach, an solch einem Tag, an dem der Winter weit in der Zukunft zu liegen scheint, über Heizungen, Wärmepumpen und die Wärmewende zu sprechen. Jürgen Görres und Ulf Hummel tun es trotzdem, hier, oberhalb der Dächer, Gebäude und Stadtbezirke, mit denen sie sich täglich beruflich beschäftigen. Denn Jürgen Görres, der die Energieabteilung im Amt für Umweltschutz der Stadt Stuttgart leitet, und Ulf Hummel, Leiter der Abteilung Wärme und Quartiere bei den Stadtwerken Stuttgart, arbeiten daran, dass die Landeshauptstadt bis 2035 klimaneutral sein wird. Das Projekt, an dem sie und ihre Abteilungen gemeinsam tätig sind: die kommunale Wärmeplanung.
Eine Potenzialanalyse für die ganze Stadt
„Im kommunalen Wärmeplan“, erklärt Ulf Hummel, „wird aufgezeigt, was in welchen Gebieten seitens der Stadt, der Bürgerinnen und Bürger und der Unternehmen notwendig ist, um die Klimaneutralität Stuttgarts beim Thema Wärme zu erreichen.“ Eine Studie also, die darstelle, welche Potenziale für erneuerbare Wärmequellen auf dem Stadtgebiet wo vorhanden sind, wie sie genutzt werden könnten und für welchen Umfang sie voraussichtlich reichen würden. Dabei spielt die Umweltwärme eine große Rolle. „Darunter verstehen wir die in der Luft, der Erde, dem Wasser oder dem Abwasser enthaltene Energie, die wir mithilfe von Wärmepumpen erschließen können“, erklärt Ulf Hummel. Jürgen Görres ergänzt: „Wir setzen bei Planung und Bestandsaufnahme Prioritäten: Wie können der Energieverbrauch reduziert, die Energieeffizienz gesteigert und die erneuerbaren Energien weiter ausgebaut werden – und zwar im gesamten Feld der Stadt?“ Dabei geht es für die Energieprofis bei der Bestands- und Potenzialanalyse nicht ausschließlich um die Klimaneutralität. „Die Energiekrise infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine hat vor Augen geführt, dass wir jetzt weg vom Gas müssen“, sagt Ulf Hummel.
Die Arbeit von Jahren
Schaut man dem Mann von den Stadtwerken und seinem Gegenüber beim Amt für Umweltschutz über die Schulter, dann fällt der Blick vom Eugensplatz auf den Stuttgarter Talkessel. Dicht bebaut die Mitte, der Süden und Westen, dahinter der Übergang in die Hanglagen, ebenfalls durchzogen von den Dächern der Häuser. Eine Mammutaufgabe, diese Wärmewende, so scheint’s – und doch sind die beiden guten Mutes. „Wir arbeiten seit Jahren an der Wärmeplanung, weil wir sie für zwingend notwendig halten“, sagt Jürgen Görres. „Es braucht Koordination und Struktur für eine solche Aufgabe – und am Ende des Prozesses werden wir eine Karte von Stuttgart haben, auf der festgehalten ist, wo wir Wärmenetze bauen können oder wo wir doch eher auf Einzelversorgung setzen.“ Konkret heißt das: Die 23 Stadtbezirke werden eingeteilt in Eignungsgebiete für Fernwärme, für kleine Wärmenetze, für die Sanierung oder Einzelversorgung. Dabei ist Stuttgart im Vergleich zu anderen Kommunen schon weit: Im Juli dieses Jahres wurde ein erster Arbeitsstand vorgestellt, Anfang Dezember soll die kommunale Wärmeplanung, die alle zwei Jahre fortgeschrieben wird, vom Gemeinderat verabschiedet werden.
Erst einmal Ruhe bewahren
Die Planung der Stuttgarter Heizzukunft ist also eine Art Navigationssystem, eine Gemeinschaftsaufgabe und – ein Mitmachprojekt. Die Stadtwerke Stuttgart unterstützen die Landeshauptstadt bei der Kommunalen Wärmeplanung beratend. Die Stadt und das Amt für Umweltschutz haben zusätzlich weitere Interessensvertreter, wie beispielsweise die für die Fernwärme zuständige EnBW und weitere Marktteilnehmer mit hohen Verbräuchen, aber auch, so Görres weiter, „das Stadtplanungsamt oder das Hochbauamt, die an Neuplanungen wie dem Rosensteinquartier arbeiten“. Und was ist mit den privaten Eigentümerinnen und Eigentümern von Wohnungen und Häusern in der Landeshauptstadt, für die nun klare gesetzliche Vorgaben aus dem frisch verabschiedeten Gebäudeenergiegesetz (GEG), dem „Heizungsgesetz“, für Neubauten und Bestandsgebäude gelten? „Ich empfehle allen Stuttgarter Bürgerinnen, Bürgern und Unternehmen, deren Wärmeerzeuger noch funktionieren, erstmal Ruhe zu bewahren.“ Über Sanierungen könne man schon mal nachdenken, sagt Ulf Hummel, aber: „Um ein Gebäude zukunftsfähig zu machen, müssen nicht zwangsläufig alle Maßnahmen auf einmal umgesetzt werden. Um zu erfahren, welche sinnvoll sind, gibt es das Energieberatungszentrum.“ Zum Beispiel sei vielen Menschen noch nicht bekannt, dass Wärmepumpen auch ohne weitreichende Sanierungen selbst in Bestandsgebäuden funktionieren würden – zum Beispiel zusammen mit überschaubaren Maßnahmen wie dem Austausch von zu klein dimensionierten Heizkörpern.
Förderprogramme und kreative Lösungen
Eins will Hummel festhalten: „Wir möchten niemanden zu etwas zwingen, wir möchten überzeugen.“ Und Jürgen Görres betont im Sinne der Stadt: „Es gibt eine Reihe von Förderprogrammen, etwa für die energetische Sanierung, für Heizungs- und Wärmepupentausch und mehr, mit denen wir die Menschen in Stuttgart bei der Bewältigung der aktuellen Herausforderungen unterstützen.“ Dass die Wärmewende am Ende gelingen wird, da sind sich die Energieprofis sicher. „Ich glaube an den guten Kern des GEG“, sagt Jürgen Görres, „und ich bin überzeugt, dass wir für alle erdenklichen Fälle in Stuttgart eine Lösung finden.“ Kreativität und Innovation seien nötig, aber es gebe ja bereits ungewöhnliche Lösungen: „Das neue Quartier im Neckarpark wird bereits über eine Wärmepumpe mit der Temperatur von Abwasser geheizt.“ Knapp 20 sogenannte Wärmenetzeignungspunkte seien schon in Untersuchung, hier solle der Ausbau schnellstmöglich beginnen. „Ich verstehe die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger, weil diese Wende nun einmal eine große Umstellung ist“, schließt Ulf Hummel. „Aber noch nie waren die Fördermöglichkeiten und finanziellen Anreize so hoch wie jetzt. Und: Umweltwärme ist ‚kostenlos‘. Wir gehen eher davon aus, dass es an der ein oder anderen Stelle vielen nicht schnell genug gehen wird.“
Sie Fragen – unser Experte antwortet
Welche Sanierungsmaßnahmen empfehlen Sie?
Auch wenn sich eine Immobilie in einem Gebiet befindet, das perspektivisch an ein Wärmenetz angeschlossen werden kann oder bereits angeschlossen ist, lohnt es sich, eine Sanierung in Betracht zu ziehen. Um ein Gebäude zukunftsfähig zu machen, müssen nicht zwangsläufig alle Maßnahmen auf ein- mal umgesetzt werden. Die Umstellung auf eine nicht-fossile Versorgung sowie eine Sanierung mit dem Ziel einer höheren Energieeffizienz kann schrittweise erfolgen, mit Einzelmaßnahmen an Dach, Fassade und Fenstern oder der Wärme- und Energieversorgung. Maßnahmen, die jetzt ergriffen werden, kommen einer späteren Wärmeversorgung über ein Netz oder einer Einzelmaßnahme entgegen. Das Energieberatungszentrum Stuttgart berät alle Bürgerinnen und Bürger neutral zu passenden Sanierungsmaßnahmen und Fördermöglichkeiten.
Wie geht es weiter, nachdem die Ergebnisse der kommunalen Wärmeplanung vorgestellt wurden?
Die kommunale Wärmeplanung ist ein langfristiger, strategischer Prozess, der alle zwei Jahre basierend auf neuen Erkenntnissen in den Gebieten und technologischen Entwicklungen fortgesetzt wird. Der kommunale Wärmeplan zeigt einen Weg auf, wie die Wärmewende in Stuttgart bis 2035 gelingen kann, und priorisiert dafür die nächsten Schritte: Die potenziellen Netzgebiete sind in drei unterschiedliche Prioritätsstufen unterteilt. Bei der Priorisierung spielen mehrere Faktoren eine Rolle, wie Wärmedichte, Verfügbarkeit von Umweltwärme und Standortfaktoren. Die Stadtwerke Stuttgart prüfen aktuell fünf Projekte aus der ersten Prioritätsstufe auf ihre Machbarkeit und legen mögliche Umsetzungskonzepte ihrem Aufsichtsrat zur Entscheidung vor. In der nächsten Phase bis 2024 werden gemeinsam mit der Stadt die Gebiete der zweiten Priorität mit Blick auf technologische und wirtschaftliche Aspekte genauer auf ihre Umsetzbarkeit geprüft. Die Prüfung umfasst auch die Einbindung aller Beteiligten in den Gebieten, um die Chancen einer erfolgreichen Umsetzung zu verbessern und die Kapazitäten der Stadtwerke entsprechend zu erweitern. Für die Gebiete der dritten Priorität wird weiterhin an einer detaillierteren Konzeption gearbeitet.