Bis 2035 will Stuttgart klimaneutral sein. Experten sehen dabei die Gewerbegebiete der Stadt als wichtige Impulsgeber. Wie sie die Transformation schaffen können, zeigt die KISS-Studie im Synergiepark Stuttgart. Daran beteiligt sind auch die Stadtwerke Stuttgart.
Eine Studie für mehr Klimaneutralität
Die anvisierte Klimaneutralität im Jahr 2035 ist eine ambitionierte Aufgabe für die Landeshauptstadt. Auch Stuttgarts Gewerbegebiete rücken mit Blick auf das Klimaziel in den Fokus. Denn einen großen Anteil sowohl am Energieverbrauch als auch am Ausstoß klimarelevanter Emissionen haben nun einmal die Sektoren Industrie und Gewerbe sowie Handel und Dienstleistungen. Eine Studie soll zeigen, welche Maßnahmen sich positiv auf die Klimabilanz auswirken: Das Projekt „KISS“ ist vor einigen Monaten mit einem ermutigenden Fazit zu Ende gegangen.
Impulse für den Synergiepark Stuttgart-Vaihingen
„KISS“ steht dabei für „Klimaschutzimpulse für den Synergiepark Stuttgart“ – und mit dem Synergiepark ist das größte Gewerbegebiet der Landeshauptstadt gemeint, das in den Stadtbezirken Vaihingen und Möhringen liegt. Rund 120 Hektar ist das Gebiet groß, mehr als 30.000 Menschen arbeiten in den Hauptsitzen und Niederlassungen von Unternehmen unterschiedlicher Größe. Und die Zahl der Beschäftigten wächst weiter, bis zu 40.000 Mitarbeitende sollen es einmal sein, die in rund 600 Firmen tätig sind. Wo also, wenn nicht hier, sollte man mit einer Studie ansetzen, durch die man, wie ihr Titel verrät, Impulse für den Klimaschutz in der Landeshauptstadt geben kann?
Konzepte für die Verkehrszukunft
Das dachten sich auch Günter Sabow, seit 35 Jahren Vorsitzender und seit Mitte 2024 Ehrenvorsitzender der Wirtschafts- und Industrievereinigung (WIV), und Jörg Schönharting, Geschäftsführer der TRC GmbH, eines Planungsbüros, das sich der Erforschung der Mobilität der Zukunft verschrieben hat. Mit eingebunden in das von der WIV getragene Projekt „KISS“ waren neben TRC auch die Stadtwerke Stuttgart (SWS) und die Universität Stuttgart. „2021, als die Stadt ihren 200 Millionen schweren Klimainvestitionsfonds wieder geöffnet hat“, erinnert sich Sabow, „haben wir einen Projektantrag eingereicht – und im Oktober 2021 den Zuschlag bekommen.“ Ausgelegt war das Programm auf drei Jahre, zwei Bereiche standen im Mittelpunkt: die betriebliche Mobilität und der Komplex Wärme und Energie, der später vor allem auch die SWS beschäftigte. „Erreichen sollten wir auf Wunsch der Landeshauptstadt eine deutliche Absenkung des motorisierten Individualverkehrs und durch die geringere Anzahl von Autofahrten auch eine deutliche CO2-Reduktion“, fasst Sabow das Ziel des Projekts auf Mobilitätsebene zusammen.
Wie bekommt man die Pendler vom Auto weg?
22 Firmen waren es am Ende, die das Mobilitäts-Projektteam zum Mitmachen gewinnen konnte. „Das entspricht einer durchaus beachtlichen Zahl von 3000 Mitarbeitenden“, fügt Schönharting an. Im Mittelpunkt der Untersuchung: die Pendler, die für den größten Teil des Verkehrsaufkommens im Synergiepark verantwortlich sind. Die statistische Datengrundlage lieferte eine Befragung von 85 Firmen und 5500 Pendlern in den Jahren 2019/2020. „Demnach griffen damals vor 5 Jahren 49 Prozent der Pendler auf das Auto zurück, also auf den motorisierten Individualverkehr. 37 Prozent machte der ÖPNV bestehend aus S-Bahn, Stadtbahn und Bus aus. Rund drei Prozent nutzten das Fahrrad.“ Im Projekt ging es darum, konkrete Maßnahmen umzusetzen, um Pendler von Alternativen zum Autofahren zu überzeugen. „Dabei zeigte sich eine erfreuliche und pragmatische Entwicklung – weil alle beteiligten Firmen entweder schon einen Mobilitätsbeauftragten hatten oder einen installierten, mit dem wir kommunizieren konnten“, bilanziert Schönharting. Die Beauftragten wurden befragt, welche Maßnahmen in ihren Unternehmen zur Transformation der Mobilität beitragen. Im Dialog mit den Zuständigen war es Schönhartings und Sabows Auftrag, zusätzliche Angebote zu entwickeln und vor Ort umzusetzen.
Entscheidende Faktoren: Fahrrad …
Das Ergebnis: Das Projektteam konnte 45 unterschiedliche Initiativen identifizieren, die die beteiligten Firmen bereits praktizierten oder dies planten. Ein besonderer Schwerpunkt lag auf der verstärkten Fahrradnutzung. Dafür begleiteten die Experten die Einführung von Angeboten wie Jobrad, die Einrichtung von Abstellmöglichkeiten mit Regenschutz für teure E-Bikes sowie die Integration entsprechender Ladestationen oder von Duschen und Radwerkstätten am jeweiligen Unternehmenssitz. Selbst Lastenräder wurden zum Teil von Firmen gekauft und eingesetzt. Und die Arbeit hat sich gelohnt. „Denn gelandet sind wir am Ende bei einem Anteil von knapp acht Prozent Fahrradnutzern unter den Pendlern – das ist eine Steigerung von rund fünf Prozentpunkten im Vergleich zu 2020“, resümiert Schönharting. „Und das hat sich natürlich auch sehr positiv auf die CO2-Thematik ausgewirkt.“
… und Deutschlandticket
Zudem hätten sich alle am Projekt beteiligten Unternehmen bereit erklärt, das Deutschlandticket ihrer Mitarbeitenden mit bis zu 100 Prozent zu finanzieren. „Somit ist es für die Mitarbeitenden immer attraktiver geworden, ein solches Ticket in der Tasche zu haben.“ Auch bei Elektroautos habe sich ein deutliches, sogar noch stärkeres Wachstum eingestellt: „2019 kamen zwei Prozent der Pendler mit einem E-Fahrzeug, am Ende des Projekts waren es 15 Prozent.“ Mit ihren Studienergebnissen, die nachweislich zur CO2-Reduktion beigetragen haben, sind Sabow und Schönharting zufrieden, wenngleich auch Begleiterscheinungen wie die Zunahme von Home-Office-Tagen im Untersuchungszeitraum etwas zum positiven Effekt beitrugen.
„Eine ausgesprochen positive Wirkung für die Klimaneutralität“
Die positiven Ergebnisse untermauert das „Kiss“-Mobilitätsteam auch mit konkreten Zahlen. Denn Schönharting und Sabow haben im Projektverlauf mehrfach die Menge von ausgestoßenem CO2 in Kilogramm pro Person und Woche in den beteiligten Unternehmen berechnet. Das Ergebnis: eine Verringerung des CO2-Ausstoßes um eindrucksvolle 27 Prozent. „Das ist natürlich keine repräsentative Erhebung, aber es ist eine realistische Schätzung auf der Basis von realen Daten“, erläutert Schönharting. Sabow ergänzt: „Selbst wenn die Zahl vorsichtig gerechnet ist, da zeigt sie doch eins: Wenn man in Gewerbegebieten in das Thema Mobilität einsteigt, lässt sich für die Stadt Stuttgart auf dem Weg zur Klimaneutralität eine ausgesprochen positive Wirkung zu erzielen.“ Schließlich sei dieses Ergebnis mit nur 22 beteiligten Firmen erreicht worden. „Nehmen Sie jetzt 800 Unternehmen und alle Gewerbegebiete Stuttgarts, dann ist das – neben Wärme und Energie – mindestens ein Drittel des Beitrags, um die Stadt in Richtung Klimaneutralität zu begleiten.“